Ciao Ragazzi,

eigentlich wollte das Management von Die Realität die Veröffentlichung des beigefügten Interviews, das der berühmte Gonzo-Journalist Dimitri Esterhazy mit den drei Knallschoten des Quietsch-Wave führte, verhindern. Nun wurde es aber geleakt. Machste nix!

In diesem ursprünglich als Beipack-Text zum soeben erschienenen Album „Bubblegum Noir“ (Trikont/Indigo) gedachten Gespräch erzählen die drei Herzöge der vorsätzlichen Unprofessionalität ALLES. Es geht um Proben im Kinderzimmer, Produzent O.L.A.F. Opal, Social-Media-Inszenierungen, traurige Diskotheken und vieles mehr.

Ciao
Eure Realis

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Q&A
DIE REALITÄT

Es ranken sich ja abertausende Gerüchte um Die Realität. Stimmt es, dass Ihr im Kinderzimmer der Tochter eures Sängers probt?
Kevin:
Das haben wir bis Anfang des Jahres gemacht. Es war mehr ein Jugendzimmer als ein Kinderzimmer. Aber das geht jetzt auch nicht mehr, weil wir zu laut geworden sind.

Warum habt Ihr Euch Die Realität genannt?
Pierre:
Die Realität ist immer da und sie macht dauernd Scherereien. Man kann sich aber auch auf sie verlassen.
Eloy: Wir wollten einen Namen, der ein Fass aufmacht. Und der ambivalent ist. Man muss die Realität ja ständig bekämpfen, sonst kommt man nicht weiter. Gleichzeitig muss man sie anerkennen um nicht zu explodieren. Die Realität ist vielen ja zu einem verhandelbaren Begriff geworden, den man nach Belieben deuten kann. Was natürlich Unsinn ist: Die Realität ist das, woran tagtäglich alle Hirngespinste, alle Beklopptheiten und Träume abschmieren. Auch wenn es viele gerade gerne tun – man kann schwer gegen die Realität argumentieren.
Kevin: Und es gibt sie nur einmal.
Pierre: Ja, genau, Die Realität ist wie David Byrne.
Eloy: Die Realität mit all ihren Unverhandelbarkeiten ist am Ende der größte Gegner, mit dem man sich anlegen kann. Das gefiel uns: Drei Spinner, die sich allen Ernstes im Jahr 2019 wider jede Vernunft um den Titel „Die coole Lieblingsband von nebenan“ bewerben – und dabei eben alle Widerstände ignorieren, die dabei ganz offensichtlich im Weg herumstehen.
Kevin: Das Gute an dem Namen ist aber auch, dass er dauernd überall fällt. „Das ist nun mal Die Realität“, „Man kann Die Realität nicht ignorieren“ usw. Wir stellen uns dann immer vor, die Leute würden über unsere Band reden.

Ihr habt das Album mit O.L.A.F. Opal aufgenommen, der ja letztes Jahr die tolle Platte von International Music produziert hat. Warum fiel die Produzentenwahl auf ihn?
Pierre:
Wir wollten eine Platte machen, die komplett anders klingt als alle andere Musik, die 2019 gemacht wird. Es sollte kaputt, außerirdisch und Lo- Fi klingen.
Eloy: Wir konnten diese Platte nur mit Olaf machen. Das liegt daran, dass wir viele gemeinsame Vorlieben haben, die sich bei uns im Sound niederschlagen konnten: Lo-Fi-Zeug. Die Flaming Lips der Neunziger mit diesem eiernden Space-Noise. Die 39 Clocks. Spacemen 3. Kraut-Sachen hier aus dem Rheinland.
Pierre: Wir haben zu Olaf Sachen gesagt wie: „Das soll klingen, als säße man nachts total besoffen im Taxi und es liefe ein Duett von Sade und Bryan Ferry. Aber unter Wasser.“ Oder: „Das soll klingen, als würden die TV Personalities von King Tubby produziert“. In uns steckt ja etwas sehr Hemdsärmerliges, genau so wie ein geposter Größenwahn. Und beides hat Olaf zusammengebracht. Er hat uns oft animiert „unfleißig“ zu spielen, wie er es nennt. Das kam uns sehr entgegen. Aber da, wo wir spacy und 43- spurig werden wollten, hat er selbst immer noch einen draufgelegt.
Kevin: Das Bild, was ich von Olaf von diesen Aufnahmen am eindrücklichsten in Erinnerung habe, ist, wie er in Schal und Jacke im Kontrollraum steht, während wir nebenan spielen, und sich dirigierend an seinem Tape Delay verrenkt.

Sprechen wir mal über einzelne Songs. Der Hit ist ja der letzte Song auf dem Album, „Die traurige Discothek“.
Eloy:
Das ist unsere Form eines Dance-Anthems. Es geht da um die Kraft von Musik. Die Information lautet: Wenn es dir schlecht geht, kannst du trotzdem tanzen. Geh einfach in „Die traurige Discothek“, da treffen sich die ganzen Verzweifelten und Verlassenen zum Tanzen. Jeder, der traurig ist, darf am Türsteher vorbei. Ein Ort für alle mit Heartbreak, Existenzängsten und Unsicherheiten, die überall sonst abgewiesen wurden.
Pierre: Clubs für zufriedene Menschen gibt es ja genug. Wir wollen eine Disco für die Traurigen bauen.
Kevin: Wir dachten eigentlich, „Dancing With Tears In My Eyes“ von Ultravox handele von so einer Disco. Oder davon, dass man beim Tanzen durchaus auch weinen kann oder umgekehrt. Dann haben wir gehört, dass das Lied vom Atomkrieg handelt und waren ganz enttäuscht. Andererseits handelt alles in den 80ern vom Atomkrieg.

Ein anderes Lieblingslied heißt „Robert Forster/Grant McLennan“. Es klingt aber überhaupt nicht wie die Band der beiden, die Go-Betweens. Pierre: Nee, das klingt jetzt fast wie The Who mit Drumcomputer.
Eloy: Das ist ein weiterer Song über die Macht der Musik. Ein Lied über ein Paar, das nichts mehr gemeinsam hat, als die Lieblingsband. Wir haben das lange als Go-Betweens-Hommage gespielt, aber das hat überhaupt nicht zu uns gepasst. Bei den Aufnahmen mit Olaf ist es dann zu diesem Bubblegum- Monster geworden.
Kevin: Wie lange dauert’s noch?

Nur noch ein paar Fragen. Warum spielt Ihr konsequent mit Drumcomputer und nicht mit einem richtigen Schlagzeuger?
Kevin:
Weil wir dann nicht mehr zu dritt wären. Es ist sehr wichtig, zu dritt zu sein.
Pierre: Schlagzeuger machen irrsinnig lange Soundchecks und nehmen viel Platz weg.
Kevin: Lange kann ich nicht mehr.

Die Gruppen-Konstellation als Trio mit drei sehr unterschiedlichen Charakteren ist ja sehr wichtig bei euch. Wie habt Ihr überhaupt zueinander gefunden?
Eloy:
Pierre habe ich zum ersten Mal auf einer Bühne gesehen, als er mit Stephen Malkmus und der Band Von Spar das „Ege Bamyasi“-Album von Can gespielt hat. Als Bassist. Kurz darauf sah ich ihn noch mal als Musiker bei Kim Fowley. Am Keyboard. Kim Fowley hat alle in der Band angeschrien, nur Pierre nicht. Das fand ich sehr beeindruckend. Kevin und ich kennen uns wiederum seit dem Kindergarten. Er ist auch mein Trauzeuge. Jetzt wohnen wir alle drei zusammen.

Das Album besteht aus gerade mal acht ineinander übergehenden Songs. Dann habt Ihr noch eine Single beigelegt. Warum habt Ihr die Songs nicht einfach aufs Album genommen?
Kevin:
Das sind die beiden eigentlichen Hits. Die mussten unbedingt runter vom Album.
Pierre: Das war letztlich Olafs Idee. Er war der Meinung, dass unser Ziel, ein sehr dichtes Weltraum-Album zu machen, das wie ein Film durchläuft, ohne diese beiden Songs besser funktioniert. Er hatte Recht.
Eloy: Der eine Song „Aber die Wirklichkeit“ war immer der erklärte Hit. Ein Protest-Song gegen die Wirklichkeit, das passte genau zu uns. Eigentlich haben wir den Song nur gemacht, weil wir die Refrainzeile auf diese Band- Umhängebeutel drucken lassen wollen, die alle Leute bei Konzerten statt Alben immer kaufen. Haben wir aber nie hingekriegt. Der Song war für uns aber immer der erklärte Hit. Und jetzt ist er nicht mal mehr auf dem Album. So arbeitet Die Realität. Wir müssen übrigens wirklich voran machen, unser Bassist baut total ab.
Kevin: (hängt schief im Möbel) …

Als Die Realität vor einem Jahr in den sozialen Medien auftauchte und man erst mal lange gar keine Musik von euch zu hören bekam,
dachten viele erst, es handele sich bei euch um eine Fake-Band: Die Inszenierung als drei seltsame Typen, der Sound eurer Postings, der Humor, die Art der Bildauswahl hatte fast etwas von einer Parodie. Viele haben sich dann gewundert, wie dunkel und dröhnend die Musik klang.
Eloy:
Es muss immer einen Widerspruch geben, den man aushalten muss: Lustige Typen, traurige Songs. Dilettantisch aber ergreifend. Alt aber jung. Psychedelic-Wave-Gedröhne, aber catchy Melodien. Instrumente verstimmt, aber trotzdem erfolgreich.
Pierre: Unsere Band soll immer eine Aura der „Unlikelyness“ haben. Dieses „So macht man das eigentlich nicht“. Pop – gerade in Deutschland – ist heute ja sehr an Amtlichkeiten interessiert, darauf haben wir aber überhaupt keine Lust. Wir machen lieber Sachen, die man so eigentlich nicht macht. Und dazu gehört auch die Inszenierung der Band: Drei seltsame Typen – sonderbarer Humor – ergreifende Songs.

Was hat es mit dem Albumtitel „Bubblegum Noir“ auf sich?
Pierre:
Den Albumtitel hat Björn Sonnenberg von der Band Locas In Love, in deren Studio wir aufgenommen haben, geträumt. Er ist aufgewacht, der Titel hing ihm noch im Kopf, und dann rief er uns an. Wir mussten den einfach nehmen.
Eloy: Der Titel ist im Grunde die Genre-Bezeichnung unserer Musik. Wenn man uns im Plattenladen in einem Fach suchen würde, dann müsste es das Fach mit der Aufschrift „Bubblegum Noir“ sein.
Kevin: (wacht auf) Boah, Leute …

Ihr bezeichnet euch selbst als „älteste Schülerband Deutschlands“ oder „Die Fachband für Unprofessionalität“. Warum?
Eloy:
Es geht auch darum, einen gewissen Dilettantismus in die deutsche Popmusik zurückzubringen. Das ist uns wichtig. Wir mögen auch slicken Pop und Checkertum am Instrument, aber es besteht da immer die Gefahr der Konfektioniertheit. Wir begreifen Professionalität nicht als Wert. Bei uns kann immer alles passieren. Es kann auch jederzeit ganz fürchterlich in die Hose gehen, das ist bei der Sache eingebaut.
Kevin: Wir sind halt vor allem ne Punkband. So, und ich brech’ das jetzt ab hier.
Pierre: Ich muss auch weg.

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